Mit Siegfried Kracauer über gleichwertige Dinge, alltägliche Architektur und Kino als demokratische Öffentlichkeit
[…] Denn Beziehungen zwischen Raum und Raum – das heißt für Kino-Räume, mit Kracauer gesagt, schließlich zweierlei Nähe zwischen dem Projektionsraum und der “Straße”. Zum einen ist ein Kino ein Öffentliches auch in dem Maß, in dem es sozial durchlässig ist, Gastrecht pflegt – nicht “gastronomisch” gemeint, sondern wie das Österreichische Filmmuseum, das sehr oft wohnungslosen und mittellosen Menschen Gratis-Eintritt in die Vorführungen einräumt. Zum anderen ist Film, so heißt es, ein Fenster zur Welt, der Kino-Foyer-Raum ist aber jedenfalls ein Fenster zur Stadt, aus dem sich schauen lässt, wenn der öffentliche Warte-Raum des Kinos genug Leere und Löcher in der Wand bietet. “Aus dem Fenster gesehen” zeigt sich, so Kracauer im gleichnamigen Text, die Stadt in ihrer Divergenz der gebauten Absichten, Raum und Raum, aus denen ein kontingentes urbanes Ganzes entsteht:
Man kann zwischen zwei Arten von Stadtbildern unterscheiden: den einen, die bewußt geformt sind, und den andern, die sich absichtslos ergeben. […] Wo immer sich Steinmassen und Straßenzüge zusammenfinden, deren Elemente aus ganz verschieden gerichteten Interessen hervorgehen, kommt ein solches Stadtbild zustande, das selber niemals Gegenstand irgendeines Interesses gewesen ist. (Siegfried Kracauer, “Aus dem Fenster gesehen”, FZ 8.11.1931)
Gabu Heindl, ‘Zwischen Raum und Raum – Mit Siegfried Kracauer über gleichwertige Dinge, alltägliche Architektur und Kino als demokratische Öffentlichkeit’, in: Film und Gesellschaft denken mit Siegfried Kracauer, Bernhard Groß, Vrääth Öhner, Drehli Robnik (Hg.), Verlag Turia + Kant, Wien/Berlin, 2018